Einbecker Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) zu den Grenzen ärztlicher Behandlungspflicht bei schwerstgeschädigten Neugeborenen
[MedR 2001, 597.]
Die Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht (DGMR) e.V. hat am 21. und 22.09.2001 ihren 9. Einbecker Workshop mit dem Thema “Drittmittelforschung unter Korruptionsverdacht – Hochschulmedizin zwischen Leistungsdruck und Strafrecht” durchgeführt. Sie hat als Tagungsergebnis folgende Empfehlungen verabschiedet:
1. Ausgangslage
Der Gesetzgeber hat 1997 durch das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption die Tatbestände der Straftaten im Amt novelliert und verschärft. In ihren Auswirkungen besonders bedeutsam sind für den Bereich der Hochschulforschung und die dort tätigen Ärzte dabei die Änderungen bei der Vorteilsnahme (§ 331 StGB) und bei der Bestechlichkeit (§ 332 StGB).
2. Notwendigkeit drittmittelfinanzierter Forschungsförderung
In Folge des sog. Herzklappenskandals trifft die Novellierung nicht ohne Absicht besonders die Einwerbung privater und industrieller Drittmittel in der industrienah kooperierenden Hochschulmedizin, vor allem im Bereich der Arzneimittelentwicklung und der Erprobung von Medizinprodukten (klinische Prüfungen). Diese Effekte sind hochschul- und forschungspolitisch unerwünscht und kontraproduktiv, weil gerade dieser Bereich maßgeblich durch privatwirtschaftliche Drittmittel gestützt wird.
Einerseits fordern die Länder als Träger der Hochschulen und Universitätsklinika von den Hochschullehrern als besonderen Leistungsnachweis die Einwerbung von Drittmitteln, während durch die Novellierung andererseits mit wenigen Ausnahmen (z.B. entgeltliche Forschungs- und Entwicklungsaufträge) nahezu sämtliche Methoden der Drittmitteleinwerbung in die Strafbarkeit zu münden drohen.
Als Leistungskriterium bildet die Höhe der eingeworbenen Drittmittel zunehmend den Maßstab für die Verteilung der knapp bemessenen und rückläufigen staatlichen Mittel für die Ausstattung der Hochschuleinrichtungen. Die Gegenläufigkeit dieser Interessenlagen bedarf dringend einer angemessenen Korrektur.
Besoldungsrechtliche Neuregelungen
Darüber hinaus wird sich auch die Vergütung der Hochschullehrer zukünftig unmittelbar am Kriterium der Drittmitteleinwerbung orientieren. So sieht § 35 des Entwurfes eines Professorenbesoldungsreformgesetzes vor, dass an Professoren, die private Drittmittel für Forschungsvorhaben der Hochschule einwerben, aus diesen Mitteln Zulagen gezahlt werden können. Damit kann die Privatwirtschaft künftig unmittelbar auf die Besoldung der Professoren als Inhaber öffentlicher Ämter Einfluss nehmen.
Auf diese Weise wird die Neutralität der Amtsträger bei der Dienstausübung nachhaltig gefährdet; es macht gar den Anschein, dass der Gesetzgeber die Zusammenarbeit zwischen Hochschulmedizin und Industrie fördern will und dabei eigennützige Effekte billigend in Kauf nimmt. Dies ist mit der vom Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption verfolgten Intention nicht zu vereinbaren. Es bedarf daher dringend einer Korrektur dieser besoldungsrechtlichen Neuregelungen.
Bestechlichkeit
Bei der Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und Hochschulmedizin darf kein Zweifel darüber bestehen, dass sachwidrige, unangemessene und eigennützige Entscheidungen der verantwortlichen Amtsträger strafbar bleiben müssen. Zuwendungen an medizinische Einrichtungen dürfen nicht in Abhängigkeit von Umsatzgeschäften stehen, insbesondere nicht zur Einflußnahme auf Beschaffungsentscheidungen führen (§ 332 StGB Bestechlichkeit). Zu weit vorverlagert ist allerdings die Strafbarkeit insbesondere im Hinblick auf die Unbestimmtheit der beschriebenen Tathandlung in § 332 Abs. 3 Nr. 2 StGB.
5. Vorteilsnahme
Rechtlich und tatsächlich erhebliche Fragen ergeben sich bei der Anwendung von § 331 StGB (Vorteilsannahme). Auch dieser schützt die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes und das Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit, also die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung.
Die weite Fassung des Tatbestandes erklärt sich aus europäischen Harmonisierungstendenzen und ist an sich zur Schließung von Strafbarkeitslücken begrüßenswert. Die Weite des Tatbestandes hat jedoch auch die unerwünschte Folge, dass Sachverhalte erfasst werden, in denen die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes nicht zwingend gefährdet ist und deren Pönalisierung nicht sinnvoll erscheint. Dies wird besonders deutlich bei der industrienah kooperierenden Hochschulmedizin. Um eine defensive oder gar rückläufige Drittmitteleinwerbung zu vermeiden, bedarf es einer restriktiven, an den Erfordernissen und Realitäten der Hochschulmedizin orientierten Tatbestandsauslegung.
Die Beteiligten müssen sich bewusst sein, dass die staatlichen Ermittlungsbehörden aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet sind, jedem Anfangsverdacht der Unlauterkeit nachzugehen. Die Ermittlungsbehörden sollten aber gleichermaßen die Besonderheiten der Interessenlagen in der Hochschulmedizin berücksichtigen.
6. Amtsträger
Die Amtsträgereigenschaft der Ärzte ist nicht an den Beamtenstatus gebunden. Sie ist auch nicht von der Rechts- und Organisationsform der jeweiligen medizinischen Einrichtung, sondern allein davon abhängig, ob hoheitliche Aufgaben (z.B. in Forschung, Lehre und Krankenversorgung) übertragen worden sind. Insbesondere macht es keinen Unterschied, ob der Arzt Beamter ist oder seine Dienstaufgaben im Rahmen eines mit einem rechtlich selbstständigen Klinikum abgeschlossenen Dienstvertrag wahrnimmt. Danach wird auch zukünftig die Ausübung hochschulmedizinischer Aufgaben hoheitliche Tätigkeit bleiben.
7. Vorteil
Zum Begriff des Vorteils zählt nach gefestigter Rechtsprechung jede materielle und immaterielle Besserstellung, auf die der Amtsträger keinen Rechtsanspruch hat. Es bleibt fragwürdig, dass bereits der immaterielle Vorteil, der allein in der Verbesserung beruflicher Entwicklungsmöglichkeiten liegt, vom Tatbestand erfasst werden soll. Dies gilt umso mehr, als die Zusammenarbeit der Hochschullehrer mit privatwirtschaftlichen Unternehmen ein maßgebliches Berufungskriterium bildet.
8. Dritter
Dieser Begriff ist so auszulegen, dass die Einrichtung, der der Vorteil zufließt, nicht Dritter im Sinne des Gesetzes ist. Andernfalls läge die Annahme des Vorteils in der Hand desjenigen, der die Annahme regelmäßig auch genehmigen müsste. Zudem dient der dieser Einrichtung zugeflossene Vorteil stets staatsnützigen Zwecken.
9. Unrechtsvereinbarung
Zur Annahme einer Unrechtsvereinbarung reicht es bei § 331 StGB aus, dass der Vorteil dem Amtsträger nicht für die Vornahme einer bestimmten Diensthandlung, sondern im Hinblick auf seine bloße Dienstausübung gewährt wird. Dies sollte nur dann angenommen werden, wenn bei der Wahrnehmung von Dienstaufgaben Beschaffungsentscheidungen beeinflusst werden. Auch hier zeigt sich die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung der Vorschrift im Rahmen der Drittmitteleinwerbung.
10. Genehmigung
Der Vorwurf der Vorteilsannahme wird in der Regel durch eine Genehmigung der zuständigen Behörde entfallen. Die Genehmigung muss stets Einzelfall bezogen eingeholt und erteilt werden. Sie ist nur wirksam und kann nur dann zur Straflosigkeit führen, wenn sie auf Grundlage einer umfassenden Offenlegung der Beziehungen zwischen Arzt und Drittmittelgeber erteilt wird.
Die Einzelheiten und Inhalte des Genehmigungsverfahrens sollten sich an einheitlichen Kriterien ausrichten. Die in diesem Zusammenhang bereits entwickelten Drittmittelrichtlinien dienen diesen Zwecken. Dabei müssen die Grundsätze der Transparenz (Offenlegung der rechtlichen und tatsächlichen Leistungsbeziehung), Trennung (Trennung zwischen Zuwendung und Umsatzgeschäft), Dokumentation (schriftliche Fixierung aller Leistungen an die Einrichtung und etwaiger Gegenleistungen) und Äquivalenz (angemessenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung berücksichtigt werden.
11. Administrative Maßnahmen, ärztliches Standesrecht
Zusätzlich bedarf es einer Optimierung der administrativen Unterstützung bei der Einwerbung, Verwaltung und Verwendung von privatwirtschaftlichen Drittmitteln (z.B. durch Mitarbeiterschulung, erweiterte Besetzung von Vergabekommissionen).
Auch die beteiligten Ärzte sollten die bereits berufsrechtlich angelegten Verpflichtungen bei der Zusammenarbeit mit der Industrie nachhaltiger als bislang berücksichtigen. Die detaillierten Regelungen der § 15 und 32 ff. der (Muster-) Berufsordnung für die Deutschen Ärztinnen und Ärzte gehen teilweise über die strafrechtlichen Anforderungen hinaus.
12. Änderungen de lege ferenda
Eine Änderung der novellierten Fassung der Korruptionsstraftatbestände erscheint derzeit rechtspolitisch leider kaum durchsetzbar. Anzuregen wäre eine Einschränkung auf Tatbestandsebene, nicht jedoch die Aufnahme eines besonderen Rechtfertigungsgrundes für Hochschulmediziner.
Eine gesonderte Kodifizierung der Einwerbung, Verwaltung und Verwendung von Drittmitteln im Wissenschaftsbereich ist nicht notwendig. Die Bedeutung der regelungsbedürftigen Sachverhalte erscheint insgesamt nicht so groß, als dass eine eigenständige, ggf. bevorzugte Regelungsmaterie geschaffen werden müsste.
Vorzuziehen ist hingegen eine Ergänzung des Hochschulrahmengesetzes. Danach sollte der mit der Einwerbung privatwirtschaftlicher Drittmittel verbundene Vorteil als nicht rechtswidrig qualifiziert werden, soweit die o.g. Grundsätze der Drittmittelrichtlinien von den Beteiligten eingehalten werden. Dadurch ließe sich gewährleisten, dass die vielfältigen Formen der Zusammenarbeit von Privatwirtschaft, Medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern nicht länger pönalisiert und stigmatisiert würden. Damit würde zugleich die dringend erforderliche Rechtssicherheit hergestellt.
Einbeck, den 22. 09. 2001
Das Präsidium der DGMR e.V